Birgit Väth – Haushaltsrede 2010

Haushaltsrede 2010 – Birgit Väth

im Dezember 2010

Haushalt 2011

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Kommunen massiv geschwächt. Viele haben mittlerweile große Probleme ausgeglichene Haushalte zu erreichen, müssen Bäder und Büchereien schließen und immer mehr Kernaufgaben in Frage stellen. Wertheim steht verglichen mit anderen Städten noch relativ gut da und musste zum Glück auch noch keine dieser Einrichtungen opfern.

Es ist aber nicht alleine dem Rückgang der Gewerbesteuer geschuldet, dass die Kommunen Probleme haben ihre Haushalte zu konsolidieren, sondern auch den ungerechten Steuergeschenken und dem sog. schwarz-gelben „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“, welches die kommunale Steuerbasis weiter abgesenkt hat. Einsparungen im Bundeshaushalt werden zur Belastung der Kommunen von morgen, welche direkt am Bürger sind und auch die Grundsicherung für sozial Schwache tragen müssen.

Privatisierung

Die in den letzten Jahren bundesweit gewachsene Tendenz der Kommunen, die Aufgaben der Daseinsvorsorge komplett oder teilweise in private Hände zu geben ,wurde in Wertheim mit dem Verkauf des Krankenhauses Rechnung getragen. Gelegentlich sind Stimmen zu vernehmen, welche sich aufatmend freuen, dass das dort bis zur Vollendung des Neubaus nach wie vor zu erwartende Defizit nicht mehr unseren städtischen Haushalt belastet.

Re-Kommunalisierung und ökologie

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir Grüne den spürbaren Trend zur Re-Kommunalisierung und in unserem speziellen Fall den beschlossenen Beitritt in die KOM 9 der Tüga-Gruppe. Kernbereiche der kommunalen Daseinsvorsorge, die Versorgung mit Wasser und Strom, müssen durch Betriebe in kommunalem Eigentum wahrgenommen werden. Wenn der Strom dann auch noch aus einer erneuerbaren Quelle fließt und vielleicht sogar vor Ort produziert wird – umso besser.

Von einer „ökologischen Vorzeigestadt“, wie ein Kollege unsere Stadt vor kurzem nannte, sind wir allerdings noch weit entfernt, solange Bemühungen in Umweltschutz durch CO² Reduktion und Antiversiegelungsstrategien nur durch Gesetze erzwungen werden und kleine freiwillige Maßnahmen wie das Anbieten von wohnortnahen Sammelstellen für Energiesparlampen abgelehnt werden. Zudem möchte ich auf die jüngst nur widerwillig beschlossene getrennte Abwassergebühr hinweisen. Bemerkenswerterweise kommen diese, aus grünen Ideenfabriken stammenden, Gesetzte mittlerweile meist aus Europa.

So erfreulich das Solar-Großprojekt für die CO² Reduktion auf dem Ernsthof auch ist, so beschränkt sich der Anteil des Gemeinderates lediglich auf das Abnicken des selbigen. Der größte Verdienst kommt hier den Dörlesbergern selbst zu, welche damit einverstanden waren und keine Bürgerinitiative ob des Wegfalls von gutem Ackerland oder optischer Beeinträchtigung initiiert haben und ihrem Ortsvorsteher, der die Investoren in den harten Zeiten der änderung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes immer wieder motiviert und damit vielleicht ein Aufgeben wie im Fall Külsheim verhindert hat.

Auch wenn wir das oberste Ziel, einen ausgeglichenen und genehmigungsfähigen Haushalt 2011 erreicht haben und in diesem Jahr keine weiteren Einschnitte vorgenommen wurden, fehlen ihm bedauerlicherweise grüne Eckpunkte.

Soziales

Nach wie vor fehlen uns Sozialarbeiter in den Schulen. Volkshochschule, Musikschule und Bücherei müssen mit viel Eigeninitiative und viel zu wenig finanziellen Mitteln um ihr überleben kämpfen. Ebenso fehlt uns ein besser funktionierender öffentlicher Nahverkehr innerhalb der Stadt und über die Schulzeiten hinaus. Neubaugebiete werden wir im Hinblick auf den demographischen Wandel und die zunehmende Flächenversiegelung künftig nicht mehr zustimmen, solange noch Bauplätze und Hofreiten innerhalb der Gemarkung Wertheim frei sind , auch wenn sie Richtung Süden gelagert sein sollten. Und nach wie vor fehlt uns noch das beitragsfreie letzte Kindergartenjahr, welches wir mit Blick in die Zukunft ganz sicher nicht aus den Augen verlieren werden. Die vermehrt angebotenen Kindergartenplätze für Kinder unter drei Jahren sind ein Weg in die richtige Richtung, doch auch hier bekommt die Bemühung, die eigentliche Schubkraft aus Gesetzesvorgaben.

Sicher lädt die Konjunkturbelebung nicht zu Höhenflügen ein und neue Investitionsmaßnahmen sind, wie in der Vorlage bereits erwähnt, trotz zu erwartender Steuermehreinnahmen nur schwer darstellbar, doch möchten wir an dieser Stelle erneut darauf hinweisen, dass Investitionen in Kinder und Bildung in der Zukunft höhere Renditen abwerfen, in Form von Entwicklung und Erhalt von Wissenschaft und Arbeitsplätzen.

Die vor einem Jahr beschlossene Haushaltsstrukturkommission mit den Projektgruppen Kinder, Jugend, Schule und Feuerwehr konnte, wohl wegen der arbeitsaufwändigen Zusammenstellung aller Fakten, leider erst im Herbst in Angriff genommen werden und hat sich auf Grund von Terminausfällen bisher leider nur mit zwei Themenbereichen befasst. Die Verwaltung hat hier gute Vorarbeit geleistet und wenn wir dran bleiben werden wir sicherlich auch bald zu Ergebnissen kommen.

Bürgerhaushalt

Zum Schluss möchte ich für künftige Haushalte einen Denkanstoß geben: Obwohl die weitaus meisten Gemeinderatssitzungen öffentlich und eine anschließende Berichterstattung im Anschluss in der Presse nachzulesen ist, fühlen sich immer mehr Bürger nicht informiert und bei Entscheidungen außen vor gelassen.

Eine Möglichkeit Bürger in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen ist der so genannte Bürgerhaushalt. Er ist in Brasilien und Neuseeland entstanden und das erfolgreichste Partizipationsinstrument der letzten Jahre geworden. Bei einem Bürgerhaushalt wird den Bürgern nach dem Motto „Deine Stadt – Dein Geld“ mittels Bürgerversammlung, Internet, Telefon oder klassisch mit Fragebogen per Post die Gelegenheit gegeben sich mit Einspar- oder Ausgabenvorschlägen am kommunalen Haushalt zu beteiligen.

Ziel eines Bürgerhaushaltes ist die kommunale Finanzlage transparent und verständlich zu machen und dem Entfremdungsprozess zwischen Bürgern und Verwaltung entgegen zu wirken.

Durch Transparenz, Dialog und aktive Beteiligung der Bürger wächst die Akzeptanz Projekte, aber ebenso auch Einschnitte mit zu tragen. Die häufigsten oder besten Vorschläge werden dann von der Verwaltung ausgearbeitet und wie bisher dem Gemeinderat zum Beschluss vorgelegt, das heißt: Nach wie vor entscheidet der Gemeinderat!

Beispiele für die Praxis sind in Baden-Württemberg in Emmendingen, Esslingen, Nürtingen, Pleidelsheim und Rheinstetten zu finden. Es werden allerdings immer mehr. Ich könnte mir vorstellen und würde mir wünschen ein solches Instrument auch bei uns in Wertheim zu installieren und damit den Bürgern zu beweisen, dass wir nicht über ihre Köpfe hinweg entscheiden.

Erfahrungen und Beispiele aus Baden-Württemberg:

Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg
www.lfu.baden-wuerttemberg.de

oder Köln:
Online-Bürgerhaushalt in Köln:
www.iais.frauenhofer.de